Seit Mitte März verhandeln die Schweiz und die EU darüber, die bilateralen Verträge zu ergänzen und zu erweitern.
Dabei hat das Verhandlungsmandat der Schweizer Unterhändler – vom Bundesrat Anfang März verdienstvollerweise integral veröffentlicht – sofort zu Widerspruch und Kritik geführt. Erstaunlich, wie viele Kommentatorinnen und Politiker sich in der Lage fühlen, ein Verhandlungsprojekt für gescheitert zu erklären, bevor dieses überhaupt begonnen hat.
Nüchtern betrachtet ist die Situation zu Verhandlungsbeginn so, dass man entweder im Mandat nach Stellen suchen kann, die einen stören – schwierig ist das nicht, weil es in der Natur solcher Texte liegt, dass garantiert jede und jeder etwas findet, das sie oder er gerne anders hätten.
Oder man kann den – historisch durchaus bemerkenswerten – Moment des Verhandlungsbeginns für ein paar grundlegende Überlegungen nutzen. Dabei ist von allen Fragen, die sich stellen, die banalste gleichzeitig die relevanteste: nämlich die Frage, um was es bei diesen Verhandlungen eigentlich geht.
Die Antwort: Es geht darum, dass unser Land seinen Platz in Europa klärt und damit das Fundament schafft für die Schweiz von morgen.
Das ist richtig und wichtig. Eine geordnete, nachhaltige und auf lange Frist angelegte Beziehung zur EU macht die Schweiz innovativer, sicherer und sozialer. Mehr Europa heisst für die Schweiz mehr Lebensqualität und Wohlstand.
Innovativer würde die Schweiz, weil ein erneuertes und erweitertes Abkommen mit der EU unser Land langfristig in die europäischen Forschungsprogramme einbindet, was für unseren Bildungs- und Forschungsplatz elementar ist. Zudem ermöglicht es Menschen in Ausbildung einen leichten Zugang zu den europäischen Universitäten und Fachhochschulen.
Sicherer würde die Schweiz, weil sich die grossen Herausforderungen von Gegenwart und Zukunft nur solidarisch entschärfen lassen – und nicht nationalstaatlich. Das gilt für den Angriff Russlands auf Europa. Das gilt für die Bedrohung unserer freiheitlichen, rechtsstaatlichen Werte durch unberechenbare autoritäre Regimes. Das gilt für die Sicherung unserer Grundrechte – etwa für die Verteidigung des Datenschutzes gegenüber den Tech-Giganten in Übersee. Und das gilt ganz besonders für die Bedrohung, die vom Klimawandel ausgeht. Europa bietet der Schweiz Sicherheit – in allen Belangen. Darauf zu verzichten ist überheblich und unklug.
Und zu guter Letzt: Sozialer würde die Schweiz, weil die EU in entscheidenden Bereichen weiter ist als die Schweiz. Beispiele dafür sind die Einführung von Elternzeit, die Förderung der Lohngleichheit, der Schutz von Mindestlöhnen und die steuerliche Regulierung von Unternehmen.
Auch der Einsatz für den Lohnschutz ist keine Schweizer Spezialität. Der Schutz der Arbeitnehmenden vor Lohndumping ist heute ebenso ein Anliegen der EU und ihrer Mitgliedstaaten. Entsprechend positiv hat sich in diesem Bereich das EU-Recht entwickelt. Der Grundsatz, auf dem das EU-Recht heute basiert, veranschaulicht diese Entwicklung: «Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort». Verschiedene Bestimmungen setzen diesen Grundsatz um, verhindern Lohndumping und sorgen für faire Arbeitsbedingungen. Übernähme die Schweiz diese Bestimmungen, würden die Rechte der Arbeitnehmenden stärker und die Lücken beim Lohnschutz kleiner – und zwar im gesamten Arbeitsmarkt und nicht nur in der Bauwirtschaft.
Zusammengefasst: Unser Engagement für eine gute, modernisierte, erweiterte und revitalisierte Beziehung zur EU ist auch ein Engagement für eine Schweiz, in der alle ein gutes Leben haben.
Ein erfolgreicher Abschluss der Verhandlungen ist ein grosser Entwicklungsschritt in diese Richtung. Ein zweiter Entwicklungsschritt werden die innenpolitischen Anpassungen sein, welche das Vertragswerk «schweiztauglich» machen. Der Platz der Schweiz ist mitten in Europa – einen besseren gibt es nicht, nirgendwo auf der Welt. Nutzen wir diesen Platz und die Chancen, die er uns bietet! Doch dafür brauchen wir einen guten Vertrag mit der EU. Er verschafft uns das Werkzeug, mit dem wir die Schweiz von morgen formen können.